Arapa, Peru, Oktober 2016
Meine Lieben.
Seit 10. September bin ich nach einem längern Heimaturlaub wieder in meiner Pfarrei Arapa/Puno/Peru. Ich wurde herzlich empfangen. Bin also auch hier wieder daheim.
Im Oktober 1988 ist Pfarrer Kurt Kretz bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Der Bischof von Puno hat mich gebeten, die Pfarreien Arapa und Chupa, wo Kurt sel. Pfarrer war, zu übernehmen. Seither bin ich also hier tätig.
Gerne gebe ich Ihnen einen kleinen Einblick in unsere Tätigkeiten und Projekte.
- Kurt sel. und ich kamen, ich vor 48, Kurt vor 47 Jahren, nach Peru als Missionare. Papst Pius XII hat den Bischöfen von Europa und USA empfohlen, Priestern, die auswandern wollen in Länder, wo Priestermangel herrscht, ihnen das doch zu ermöglichen. Sein Schreiben begann mit den Worten: Fidei donum (das Geschenk des Glaubens). Alle Weltpriester, die also in andere Länder auswandern, um auszuhelfen, sind der kirchlichen Organisation FIDEI-DONUM-PRIESTER angeschlossen. Kurt und ich sind nach Puno, Peru gekommen. Die meisten Bewohner von Peru sind katholische Christen. Also war unsere Botschaft nichts Neues für die Leute hier. Wir haben uns um die seelsorglichen Aufgaben angenommen. Wir haben in Landpfarreien gearbeitet. Die meisten Gläubigen waren, sind Bauern und Bäuerinnen, wohnen also auf dem Land in vielen Siedlungen. Als wir hier ankamen, haben uns die einheimischen Priester das Andenvolk so beschrieben: Die Andenbewohner sind gläubig, sind arm, gehen zu Fuss, lieben das Festen. Son pobres, creyentes, caminantes y celebrantes.
Vor 20’000 Jahren kamen die ersten Menschen in den Kontinent Südamerika. Sie kamen von Asien und brachten ihre Bräuche und ihre Religion mit hierher. Sie glauben an einen Schöpfergott und lieben vorallem die Mutter Erde, die Pachamama, die uns alles Lebensnotwendige schenkt. Zum Glück haben die Andenbewohner ihren ursprünglichen Glauben mit der christlichen Botschaft verschmelzen können. Es gibt also hier den sogenannten Synkretismus.
Wir bereiten die Gläubigen vor auf die Sakramente, die sie empfangen, spenden die Sakramente, geben Religions-unterricht, besuchen die Kranken, segnen die Häuser und empfangen die Gläubigen zu Gesprächen. In der Pfarrei Arapa gibt es rund 11’000 Gläubige. Ca. 1’500 leben im Dorf Arapa und 9’500 in 35 Siedlungen auf dem Land. Der Durchmesser des Pfarreigebietes misst ca. 40 Km. Ich kann unmöglich in allen Siedlungen gegenwärtig sein. Daher habe ich den Siedlungsbewohnern den Auftrag gegeben, sie sollen geeignete Personen, Frauen und Männer, für eine kirchliche Arbeit wählen. Einmal im Monat kommen diese Vertreter der Siedlungen zusammen zur Ausbildung. Sie lernen mit der Bibel umgehen und wie sie in ihren Siedlungen mit den Leuten ihr christliches Engagement leben können und sollen. Was ich bis jetzt erwähnt habe, ist die spezifisch seelsorgliche Tätigkeit. Nun muss ich aber noch auf etwas besonderes hinweisen. Nach dem II.Vatikanischen Konzil hat die Kirche von Südamerika eine eigene Theologie entwickelt, um die Beschlüsse des Konzils in die Tat umzusetzen und dies in einem Kontinet mit einer ganz besondern Vergangenheit und Realität. Lateinamerika wurde immer von fremden Mächten beherrscht und ausgebeutet. Es gibt sehr viel Armut und Rassismus. Ureinwohner werden misshandelt, verdrängt und ausgebeutet. Die Bodenschätze sind für die Mächtigen dieser Welt wertvoller als das Menschenleben. Ausgehend von dieser Realität haben namhafte Theologen die sogenannte “Befreiungstheologie” entwickelt. Jesus kam auf diese Welt, damit wir alle das Leben in Fülle haben (Jh.10.10). Die Praxis Jesu ist ausschlaggebend in dieser Theologie. Die tätige Nächstenliebe, vorallem den Armen, den Notleidenden, den Ausgeschlossenen und Verachteten gegenüber, ist Jesu Anliegen. Sie sollen befreit werden von diesem Leid und ein menschenwürdiges Leben geniessen dürfen. Ausgehend von dieser Forderung sehen wir hier in den südlichen Anden unsere pastoralen Aufgaben darin, den Menschen von einem weniger humanen Leben zu einem menschenwürdigen Dasein zu verhelfen. Das schliesst aber den ganzen Menschen ein, nicht nur seine Seele. Was können wir tun, damit alle Menschen in jeder Hinsicht, Gesundheit, Ausbildung, Wohnen, Arbeit, gerechter Lohn, Mitspracherecht usw. glücklich leben können? Ausgehend von diesem Postulat haben wir hier in den südlichen Anden unsere kirchliche Arbeit auf alle Aspekte des menschlichen Lebens ausgerichtet. Man könnte das so nennen: Seelsorger und Entwicklungshelfer.
Und jetzt komme ich auf einige Projekte zu sprechen, die wir hier in der Pfarrei durchführen können, dank Ihrer finanziellen Hilfe. - Das Zentrum “SUMAQ KAUSAY” in Juliaca. Nachkommen italienischer Einwanderer haben mir vor Jahren ein damals noch am Stadtrand der sehr grossen Stadt Juliaca (350’000 Einwohner) liegendes grosses Grundstück geschenkt mit der Bitte, dort eine Kirche zu bauen als Andenken an alle ihre Familienangehörigen. Leider konnte ich diesem Wunsch nicht entsprechen, weil ich nicht Pfarrer bin von Juliaca. Die Wohltäter sagten mir dann, dass ich dort etwas aufbauen könne, was nach meiner Ansicht und meinem Wunsch der Bevölkerung etwas nütze. Also, was nun machen? Wir haben die Situation der Stadt Juliaca studiert und festgestellt, dass sehr viele Menschen in Not leben und um Hilfe bitten. Zusammen mit den Familienangehörigen, die das Land schenkten, haben wir beschlossen eine Beratungsstelle zu bauen und zu eröffnen, wo Menschen in Not sich hinwenden können, um gute Ratschläge von Fachpersonen zu erhalten. Im Monat Juni 2015 hat das Zentrum die Türen geöffnet und seither kommen täglich sehr viele Menschen in das Zentrum, wo ein Arzt, zwei Psychologen, eine Advokatin, eine Sozialasistentin und eine indische Klosterfrau den Leuten mit Ratschlägen helfen, ihr künftiges Leben in Griff zu bekommen. Wir verlangen selbstverständlich etwas für jede Sprechstunde, aber so wenig, dass es sich auch die Armen leisten können. Eine Sprechstunde bei einem Advokaten oder einem Arzt kostet hier S/.80.00. Wir verlangen nur S/.12.00. Im Zentrum haben wir auch Säle, wo Gruppen Work Shops durchführen. Da kommen Universitätsstudenten und Studentinnen, Müttervereine, Eltern verschiedener Schulen, Schülerinnen und Schüler vieler Schulen. Unsere Fachpersonen sprechen aktuelle Themen an und motivieren die Teilnehmer/innen in Gruppenarbeit einen Beitrag zu leisten am Aufbau einer friedlichen, gerechten und solidarischen Gesellschaft.
- Spezialschule für geistig behinderte Kinder. Es gibt eine weltweite Organisation, die im Zweiten Weltkrieg von einem französischen Priester gegründet wurde und den Namen Fraternité des invalides trägt. Vor 50 Jahren ist auch in Perú diese Fraternidad gegründet worden. In vielen Pfarreien der südlichen Anden gibt es Kerngruppen der Fraternidad, auch in Arapa. Die Mitglieder der Fraternidad haben unter anderem auch die Aufgabe in allen Siedlungen die Menschen mit Behinderungen zu besuchen und einzuladen an ihren wöchentlichen Zusammenkünften teilzunehmen, wo einerseits Texte der Heiligen Schrift gelesen werden und dann über die Botschaft gesprochen wird, was Menschen mit Behinderung als engagierte Christinnen und Christen beitragen können zum Wohl der Mitmenschen, und anderseits bekommen sie auch Vorträge über die Rechte, welche der Staat und die Gesellschaft den Behinderten gibt und geben muss. Es drängte sich auf, eine Schule zu gründen für die geistig Behinderten, für die leider viel zu wenig getan wird, damit sie glücklich leben können. Wir haben eine solche Spezialschule gegründet, und da die geistig behinderten Kinder von weit her kommen, haben wir auch noch ein Internat gebaut, wo sie übernachten können und auch in einem Speisesaal gemeinsam essen können.
In der Spezialschule, die vom Staat anerkannt ist, bemühen sich Lehrer und Lehrerinnen, die Fähigkeiten der Kinder zu erforschen und diese dann zu fördern, damit sie in ihrem künftigen Leben einen Beruf ausüben können und so ihr täglich Brot verdienen können und dabei glücklich und zufrieden sein dürfen. In unserer Schule haben die Kinder die Möglichkeit sich auszubilden in Kleintierhaltung, Gartenbau, Kochen, Waschen und Putzen, Stricken und Weben, Brot backen in unserer eigenen Bäckerei, Musizieren, Tanzen, Singen, Malen, Zeichnen, Schreiben für jene, die das können, und noch vieles mehr, eben je nach den Fähigkeiten der Kinder. - Das Heilkräuterprojekt. In den Anden auf 4’000 bis 5’000 m.ü.M. gibt es sehr viele wildwachsende Heilkräuter. Die Schamanen kennen die heilenden Eigenschaften dieser Kräuter und gebrauchen sie, um den kranken Menschen mit Gebet und Naturmedizin ihre Gesundheit wieder zu geben. Diese Heilkräuter werden sehr geschätzt und sind gefragt in allen Ländern, auch in Europa. Viele Leute hier pflanzen Heilkräuter und verkaufen sie auf den lokalen Märkten. Wir fragen uns nun, ob sie die Heilkräuter nicht auch zu Salben, Tee, Kapseln, Tinkturen u.a.m. verarbeiten können. Es geht darum, ein Labor zu bauen, das allen Vorschriften entspricht, um ein Bio Heilkräuterprodukt herzustellen, indem das Pflanzenöl aus- gepresst wird und dann zu verschiedenen Endprodukten verarbeitet wird. Das braucht auch Fachpersonal im Labor. Die Leute hier sind fähig, ein solches Projekt auszuführen. Sie beweisen das jetzt schon mit einigen Fertigprodukten, die sie machen und auf dem lokalen Markt verkaufen. Wir hoffen, dass sie in Zukunft ihre Endprodukte auch exportieren können.
- Pastoral Social. Übersetzt: Sozialseelsorge. Damit ist also gemeint, dass von der Pfarrei aus auch soziale Aspekte in die Seelsorge einbezogen werden sollen. Die Pfarrei hat zwei Agroingenieure angestellt, die in allen 35 Siedlungen mit den Leuten eine sehr gute Arbeit leisten. Sie organisieren die Leute rund um Themen, die für ihre Arbeit auf dem Land wichtig sind. Wie soll die Landwirtschaft Zukunft haben? Die Kinder der Bauernfamilien wollen nicht auf dem Land bleiben und ziehen es vor in die Stadt auszuwandern. Sie sagen, dass die Landwirtschaft keine Zukunft habe und nichts einbringe. Welch eine Herausforderung für die Eltern, für die Bauern, für die Siedlungen! Unsere beiden Ingenieure planen also die Zukunft mit den Leuten, die auf dem Land bleiben. Was anbauen? Wie können wir die Produkte der Landwirtschaft am besten vermarkten? Es ist meine Meinung, dass die Bauern ihre Produkte verarbeiten sollen zu Fertigprodukten, um diese in den Läden verkaufen zu können, anstatt die Materia Prima zu verkaufen. Wir haben das in der Forellenzucht als Modell, als nachahmens-wertes Beispiel, vorgemacht. Statt die Forellen auf den Markt zu bringen, so wie sie gefischt wurden, haben wir sie filetiert, geräuchert, in Büchsen verpackt und in Australien, Europa und Peru verkauft mit grossem Erfolg.
Ich hoffe, dass die Landwirte nun ihre Quinua, Kartoffeln, das Fleisch ihrer Schafe, Kühe usw. auch zu Fertigprodukten verarbeiten und sie so verkaufen. In Peru müssen die Gemeindepräsidenten der Zentralregierung in Lima einen strategischen Plan vorweisen, welche Projekte sie während ihrer Regierungszeit (5 Jahre) für die Entwicklung ihrer Gemeinden verwirklichen wollen. Es ist Brauch und Sitte, dass diese Pläne von Ingenieuren im Bureau des Gemeindehauses geschrieben werden und direkt nach Lima geschickt werden. Das Volk erfährt nicht, was in diesen Plänen steht. Hier in Arapa haben wir das nun ganz anders aufgezogen. Wir haben einen Ingenieur angestellt, der solche Pläne erarbeiten kann und haben ihn gebeten, er soll den Plan mit den Leuten der Siedlungen erarbeiten. Er soll die Leute fragen, wie sie ihr Zukunft sehen und was sie vom Gemeindepräsidenten und vom Gemeinderat erwarten als Beitrag, als Geldverwalter. So kam, ich meine, der erste strategische Gemeindeplan in ganz Peru zustande, der nicht in einem Bureau, sondern mit der Bevölkerung zusammen erarbeitet wurde. Jetzt wissen wir alle, was die Gemeindeverwaltung zu tun hat in den kommenden Jahren und können vom Gemeindepräsidenten fordern, was er machen muss zugunsten der Landbevölkerung.
Die Rolle der Frau? In allen Ländern der Welt ist das doch eine aktuelle Frage, auch in der Kirche. Dank der Pastoral Social haben die Frauen in Arapa eine eigene Organisation gegründet, um als Frauen mitzureden und mitzuwirken bei der Verwirklichung des strategischen Planes der Entwicklung des Distriktes (Dorf und Siedlungen) Arapa. Das sind echte Fortschritte in Richtung einer Gesellschaft, wo alle gleichberechtigt mitbestimmen können, was zu tun ist, damit alle ein menschenwürdiges und glückliches Dasein leben dürfen. - Allen Spenderinnen und Spendern, die an uns, an das Andenvolk, denken und uns helfen mit ihren Spenden, danke ich meinerseits und im Namen aller, denen wir helfen dürfen, von ganzem Herzen und wünsche allen Gottes Segen.
Empfangen Sie frohe Grüsse.
Markus Degen